Wie Stasia, Halina und Julek überlebten

Ehepaar Brockschmidt aus Linz für Rettung juedischer Mitbuerger geehrt

"Wo soll ich anfangen, zu erzählen?" seufzt Heinrich Brockschmidt, das ist ja ein ganzes Buch", und er versucht, sich die Ereignisse, die nun über 30 Jahre zurückliegen, zu vergegenwärti- gen. Seine Frau Herta, eine rüstige Siebzigerin, ergänzt ihren Mann, wo sein Gedächtnis ihn im Stich läßt. Ei- gentlich war es für sie selbstverständ- lich gewesen, bedrohten Juden zu hel- fen, damals, unter der Naziherrschaft. Sie haben die Ereignisse zwar nicht vergessen, dafür waren sie zu ein- schneidend, aber sie machen kein Aufhe- bens davon. Es war Christenpflicht", sagt Frau Brockschmidt. Daran erinnert wurden sie Anfang des Jahres durch einen Brief des israelischen Botschaf- ters in Bonn, Yohanan Meroz, der sie in die Bundeshauptstadt einlud, um sie zusammen mit zwei weiteren Deutschen für die Rettung jüdischer Mitbürger zu ehren. In einer schlichten Feierstunde in der Residenz des israelischen Bot- schafters wurden sie Anfang Februar mit dem Ehrentitel Gerechte" ausge- zeichnet, erhielten eine Urkunde und eine Plakette, auf der es heißt: Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt."
Brockschmidts, die heute in Linz am Rhein leben, hatten sich 1940 in War- schau niedergelassen, wo Heinrich Brockschmidt eine internationale Spe- ditionsfirma betrieb. 1943 nahmen sie die Polin Stasia Heybowicz als Hausge- hilfin in ihren Haushalt auf, ohne zu- nächst zu wissen, daß die Frau, die zwei Kinder hatte, Jüdin war. Als sie es dann erfuhren, änderte sich nichts an ihrem guten Verhältnis zu ihr. 1944 brach der Warschauer Aufstand aus. Alle deutschen Zivilisten mußten die Stadt verlassen. Die Brockschmidts überließen Stasia Heybowicz ihre War- schauer Wohnung mit Inventar und zo- gen sich auf ihren Besitz in der damali- gen Mark Brandenburg zurück. Frau Brockschmidt erinnert sich deutlich der Abschiedsszene: Stasia Heybowicz
schenkte ihr, die alles zurücklassen mußte, drei Dollar mit der Bemerkung Vielleicht können Sie sie brauchen."
Von dem Besitz in der Mark Bran- denburg aus betrieb Heinrich Brock- schmidt sein Unternehmen weiter. Ei- nes Tages erhielt das Ehepaar die Nachricht, daß sich Stasia Heybowicz mit ihren Kindern Halina und Julek in einem Lager in Berlin-Friedrichshagen befinde. Heinrich Brockschmidt besorg- te falsche Pässe für die drei, und unter dem Vorwand, sie als Arbeitskräfte auf seinem Gut zu benötigen, bekam er sie frei. Stasia galt als Haushälterin, Halina als Küchenhilfe und Julek als land- wirtschaftlicher Arbeiter. Ausweise waren schon deswegen wichtig, well man ohne sie keine Lebensmittelkarten bekam. Unter den etwa 30 Angestellten, Deutschen und Polen, die auf dem Gut der Brockschmidts beschäftigt waren, blieb es nicht verborgen, daß da drei Juden unter falschem Namen lebten. Immer wieder versuchten selbst Lands- leute der Heybowicz, die drei anzu- schwärzen. Wie oft mußte Frau Brock- schmidt hören: Sehen Sie denn nicht, daß das Juden sind." Vor allem Juleks rassische Merkmale waren immer wie- der Anlaß zu Verdächtigungen.
Eine weitere Jüdin, Ulla Steinbach mit Namen, die sie aus Warschau kann- ten und deren Mutter in Theresienstadt umkam, suchte bei den Brockschmidts Zuflucht, wurde aufgenommen und er- hielt einen falschen Paß. Da sie blond war, wurde sie nicht verdächtigt. Aber alle lebten in Gefahr; die Juden, er- kannt und die Brockschmidts, denun- ziert zu werden. Wohl war Heinrich Brockschmidt eine anerkannte Persön- lichkeit mit großem Einfluß und weit- reichenden Verbindungen, wohl lebte er als Träger des Kriegsverdienstkreuzes unter einem gewissen Schutz, aber er schwebte gleichzeitig in der Gefahr, um so tiefer zu fallen. Das Konzentra- tionslager wäre dem Ehepaar sicher ge- wesen, wenn herausgekommen wäre,

Der israelische Botschafter in Bonn, Yohanan Merez (rechts), überreicht Heinrich und Herta Brockschmidt Urkunde und Plakette.
Foto: Munker
daß es Juden in sein Haus aufgenom- men hatte. Der Helfer- der Brock- schmidts, der die Ausweise beschaffte, mußte dran glauben. Er verbrachte mehrere Jahre in einem KZ, überlebte jedoch glücklicherweise.
Indirekt war Heinrich Brockschmidt an der Rettung vieler Juden und nicht jüdischer Bürger beteiligt. Er weiß nicht, wie vielen er half. Man sprach nicht darüber. Wenn ein Freund einen Lkw brauchte, dann wußte Heinrich Brockschmidt wofür, fragte nicht wei- ter, sondern beschaffte ihn. So half er, manche Ladung" in Sicherheit zu bringen.
Der Tanz auf dem Seil dauerte, bis im April 1945 die Russen einmarschier- ten. Die Polen, darunter auch Stasia Heyooviez mit Toenter und Sohn, kehrten in ihre Heimat zurück. Man verlor sich aus den Augen, bis die Brockschmidts 1948 einen Brief aus Israel erhielten, aus dem hervorging, daß Stasia Heybowicz, die sich nun Sidonie Grünfeld nennt, mit ihren Kindern nach dort ausgewandert war. Was sie aber nicht wußten und erst jetzt erfuhren, war, daß die Geretteten die Namen ih- rer Retter dem Dokumentationszentrum Yad Yashem in Jerusalem mitgeteilt hatten, das sie nun ausfindig machte,
um sie über 30 Jahre nach dem Ge- schehen dafür zu ehren.
Was ist aus Sidonie Grünfeld, alias Stasia Heybowicz, und ihren Kindern geworden? Haben die Brockschmidts sie wiedergesehen? Sohn Wolfgang, von Beruf Bautechniker, weilte wiederholt zu Arbeitseinsätzen mit der Aktion Sühnezeichen" in Israel. Beim ersten dieser Aufenthalte suchte er die Grün- felds auf, beziehungsweise lernte er sie kennen, denn damals war er noch ein Baby, das Halina gern auf dem Arm herumtrug. Um Halina zu sehen, die heute in zweiter Ehe mit einem Rechts- anwalt in Israel verheiratet ist, sind die Brockschmidts einmal zum Kölner Flughafen gefahren. Frau Brockschmidt erinnert sich: Plötzlich stürmte eine Frau auf mich zu und fiel mir um den Hals, es war Halina, ich hatte sie nicht sofort erkannt, nach 25 Jahren." Julek lebt als Arzt mit gutgehender Praxis in New York. Sidonie Grünfeld arbeitet in Israel bei einer Bank.
Voraussichtlich wird es im Herbst dieses Jahres ein großes Wiedersehen in Israel geben. Denn mit der in Bonn erfahrenen Auszeichnung ist die Be- rechtigung verbunden, in der Allee der Gerechten" in Jerusalem einen Baum zu pflanzen. Und das will das Ehepaar Brockschmidt tun.